Das Alter(n) als Gegenstand der Forschung: Die
verlängerte Lebenszeit und eine neue Lebenswelt
Margret M. Baltes (1999, gekürzter und leicht veränderter
Auszug)
Warum beschäftigen wir uns in den letzten 15-20
Jahren mehr und mehr mit dem Alter und Altern?
Wir beschäftigen uns damit, weil uns der mit der
Lebenszeitverlängerung einhergehende demographische Wandel dazu
zwingt; er zwingt uns als Gesellschaft, weil die bisherigen
Strukturen diesem Wandel und vor allem dem neuen Funktionsstatus der
jungen Alten nicht mehr gerecht werden. Er zwingt jeden Einzelnen
von uns, weil wir in diesem Jahrhundert erstmals in der
Menschheitsgeschichte imstande sind, unser Leben für das Alter und
im Alter zu planen und proaktiv zu leben.
Das heißt, wir beschäftigen uns in der Gesellschaft immer mehr
mit dem Alter und Altern, weil es ein neues Phänomen ist, das in
dieser Größenordnung in unserem Jahrhundert entstanden ist. Alt zu
werden ist fast zu einem Allgemeingut geworden. Dies ist eine
radikal neue Lebenswelt. Von daher brauchen wir auch nicht defensiv
zu werden, wenn wir noch keine Lösungen parat haben. Aber es ist
natürlich keine Entschuldigung dafür, nicht heute und jetzt
anzufangen, nach produktiven Lösungen zu suchen. Es sollte uns
allerdings auch bewusst werden, dass diese neue Situation mit ihren
neuen Anforderungen Angst erzeugt. Wir beschäftigen uns aber auch
mit dem Alter, weil wir das Altern meistern wollen, weil wir besser
altern wollen als unsere Eltern, vielleicht sogar, weil wir hoffen,
das Altern besiegen zu können. So ist unsere Beschäftigung mit dem
Alter auch durch das Gefühl der Hoffnung motiviert. Die
Langlebigkeit und die damit verbundenen sozialen, ökonomischen,
psychischen und spirituellen Implikationen sind zu einem
Zentralthema der Politik und der Forschungspolitik geworden. Die
internationale Auseinandersetzung mit diesem Thema wird vielleicht
auch hier in Deutschland die Diskussionen beflügeln und vielleicht
auch, so hoffe ich, etwas verändern. Verändern dahingehend, dass
nicht Verteilungskämpfe beschworen, belächelt oder angedroht werden,
sondern dass man gemeinsam, alle Altersgruppen zusammen, solidarisch
nach Lösungen sucht. Die heutigen Alten waren schließlich die
gestrig Jungen, und die heute Jungen werden schließlich die morgigen
Alten sein. Ihnen, den künftigen Alten, den Endlauf in einer Weise
zu ermöglichen, dass er sinnstiftend und würdevoll erscheint, kann
am besten dadurch vorbereitet werden, dass die heutigen Alten die
Wege finden. Ein chinesisches Sprichwort bringt diese Perspektive
auf den Punkt: "Die heutigen Generationen bauen die Straßen, auf
denen die nächsten fahren".
Meine Worte sind von Zukunftsoptimismus getragen, trotz der
Tatsache, dass das dritte Alter den Marathon des Lebens noch nicht
zu Ende führt. Im hohen Alter ist die Unvollendetheit des Lebens am
deutlichsten zu sehen, hier bedarf es mehr und mehr Anstrengungen
der Wissenschaft, und in diesem Sinne ist es auch wichtig, dass die
Forschungen zum Alter zu einer hohen Priorität erklärt werden. Ich
selbst habe mich dabei sehr engagiert und hege die Hoffnung, dass
unsere Gesellschaft die Vorteile guter Alternsforschung im Interesse
aller erkennt.
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